Wir kennen sie alle - unsere lieben Angsthasen. Da wird bei der kleinsten Bewegung gescheut, auf unbekannte Untergründe geht Herr oder Frau Pferd gar nicht erst drauf und wehe etwas raschelndes berührt das Maul. Wegspringen, Erstarren oder steigen, alles hat man schon einmal gesehen und jedes Mal denkt man sich "ist das dein Ernst? Du hast das schon 20x gesehen, stell dich nicht so an!"

Tatsächlich aber steckt (meist) viel mehr dahinter als bloß "Simulation", wie es viele gerne nennen.

Pferde sehen und spüren jede kleinste Veränderung, zudem haben sie eine binokulare Sichtweise. D.h. alles, was das linke Auge sieht, wird zu 80-85% auf die rechte Gehirnhälfte gespeichert und nur zu 15-20% auf die linke Seite. Bei dem rechten Auge ist das natürlich genau umgekehrt. Wenn man nun also hauptsächlich alles von links macht (Führen, Aufsatteln, Aufsteigen, Nachgurten, etc.), werden in der linken Gehirnhälfte nur sehr wenige Bilder gespeichert. Das Pferd weiß zwar, dass da mal irgendetwas war, aber es kann es nicht mehr korrekt zuordnen. Deswegen kann es durchaus sein, dass bei einem Ausritt beim Hinweg alles in Ordnung ist, und beim Rückweg plötzlich alles viel grusliger erscheint. Ein Pferd ist zufrieden und glücklich, wenn es in seiner gewohnten Umgebung ist, mit seiner gewohnten Herde und das am liebsten 24/7. Da das zum Reiten o.ä. jedoch nicht geht, muss es sich auch an ungewöhnliche Situationen gewöhnen.

Da mein Oberon selbst ein sehr ängstliches bzw. schreckhaftes Pferd ist (und hoffentlich bald "war"), kann ich euch ein paar Tipps mit auf den Weg geben, mit denen ihr im Alltag entspannter leben könnt und wie ihr dem Pferd auch einige seiner Ängste nehmen könnt.

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Die wichtigste Regel wäre definitiv: Niemals selbst Angst zeigen! Das Pferd spürt unsere Gefühle und wird unruhig, wenn wir es sind. Und vor allem niemals an eine Sache mit dem Gedanken "Oh mein Gott mein Pferd erschrickt sich gleich davor" rangehen! Im Unterbewusstsein geben wir unserem Pferd die Signale, dass es sich quasi erschrecken "soll". Auch wenn es teilweise wirklich sehr schwer fällt, ruhig bleiben und denken: "Ja ganz easy, wieso sollte er auch Angst davor haben?" Die Ruhe die wir ausstrahlen überträgt sich auch auf das Pferd, und schon hat es viel weniger Panik.

Was man natürlich niemals auslassen sollte, weder mit einem neugierigen und mutigen Pferd noch mit einem ängstlichen und unsicheren ist Gelassenheitstraining. Bei mutigen Pferden reicht es, wenn man das nur alle 2-3 Wochen mal wieder wiederholt. Für ängstliche Pferde ist es sinnvoll, ca. 2x pro Woche ein bisschen Gelassenheitstraining zu machen. Aber niemals das Pferd überfordern! Bei wirklich "schwierigen" Fällen, zu Beginn mit einer Plane auf dem Boden und z.B. einem Gymnastikball beginnen. Je nach Pferd reicht es schon, wenn der Ball oder die Plane nur mit der Nase angestupst wird. Sobald das Pferd einen Schritt oder eine Bewegung in die Richtung des Gegenstands gemacht hat, sofort Druck loslassen (sofern er überhaupt entstanden ist) und kräftig loben. Danach eine kleine Runde Schritt gehen und wieder auf den Gegenstand zu. So habe ich mit Obi auch angefangen, anfangs wollte er nicht mal einen Schritt auf die Plane machen und nun, nach ca. 2 Monaten Training, läuft er ohne zu überlegen darüber :) Ruhig auch mal seitlich auf die Sache zugehen, damit das Pferd auch alles angucken kann. Nach vorne sieht es ja nichts.

Und immer daran denken: Die Linke und Rechte Gehirnhälfte gleichmäßig fordern! Also mal von links auf die Plane zu, dann von Rechts. Den Ball mal auf die linke und mal auf die rechte Seite legen. Fähnchen von links und von rechts bewegen. Jeder Schritt in die richtige Richtung ausgiebig loben und nie viel Druck machen. Diese Arbeit ist für Pferde die es nicht gewohnt sind mental sehr anstrengend! Also nach ein paar Wiederholungen mit einer positiven Erfahrung abschließen und das Pferd ins Bett schicken.

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Um euch noch ein bisschen Inspiration zu geben, zähle ich mal ein paar Dinge auf, die ihr für euer Gelassenheitstraining verwenden könnt. Mit manchen Dingen könnt ihr beispielsweise auch Tore oder Übergänge bauen.

• Plastikplane, Müllsack (ggf. mit Heu, Stroh o.ä. gefüllt)

• Fähnchenleine (z.B. Fan-Überbleibsel von der WM)

• Wasserball, Gymnastikball

• Poolnudeln, Poolringe

• Regenschirm

• Fahne (zuerst kleine, dann große. Hier empfehle ich euch auch Bücher von Michael Geitner zur Dualaktivierung u.ä.)

• Plastiktrinkflaschen (ggf. mit raschelndem Inhalt)

• Luftballons, Pilonen

• Holzwippe, Holzbrücke (Ideal für Anhänger-/Verladetraining)

 

Euch wünsche ich nun viel Spaß mit euren kleinen Angsthasen :)

 

Liebe Grüße,

Jule