Zirkuslektionen werden gerne als kleine Bespaßung für Pferd und Mensch abgetan, dabei sind sie eigentlich viel mehr. Das Wort „Zirkus“ weckt bei vielen aber eher negative Verknüpfungen, es hat etwas unnatürliches und dressiertes. Dabei entstammen alle Lektionen dem natürlichen Repertoire der Pferde. Ein Vorurteil mit dem auch die Dressur immer wieder zu kämpfen hat.

Das Tolle an Zirkuslektionen ist die Vielseitigkeit in alle Richtungen, fast jedes Pferd profitiert von ihnen. Bereits junge Pferde können die ersten kleinen Vorübungen erklärt bekommen und lernen dabei gleichzeitig einen positiven Kontakt zum Menschen kennen. Für Pferde aller Reitweisen ist es eine schöne Abwechslung im Trainingsalltag und auch ältere Pferde können mit den auf sie angepassten Lektionen sinnvoll beschäftigt und gymnastiziert werden. Schüchterne Pferde können zu mehr Selbstbewusstsein gelangen und unruhige Pferde lernen, dem Menschen zuzuhören. 

Voraussetzung für Zirkuslektionen ist die Grundausbildung am Boden. Führen, Stillstehen und am ganzen Körper anfassen lassen sollten dem Pferd vertraut sein. Zudem sollte es keine Angst vor der Gerte haben, da diese als verlängerter Arm für viele Zeichen verwendet wird. Außerdem muss das Pferd gesund sein, damit es keine Schmerzen bei den einzelnen Übungen hat. Sollten Erkrankungen oder Einschränkungen vorliegen, sollte jeweils individuell, am besten zusammen mit einem Tierarzt, entschieden werden, was möglich und vielleicht sogar förderlich ist und was besser nicht erarbeitet wird.
Neben dem Haupteffekt, dass unser Pferd beeindruckende Zirkuslektionen zeigen wird, sollten wir die positiven Nebenwirkungen nicht unterschätzen. Diese alleine sind so überzeugend, dass sich Zirkuslektionen auch für alle lohnen, die keine Showkarriere mit ihrem Pferd planen.

Kompliment

Sie bieten Abwechslung und motivieren das Pferd. Es ist eine weitere schöne Variante mit dem Pferd zusammen zu arbeiten, es auf kleine Signale zu sensibilisieren und zu motivieren. Zirkuslektionen sind eine der wenigen Übungen, bei denen es nicht so sehr um körperliche Kraftleistungen und Ausdauer geht, sondern vor allem der Kopf gefordert wird. Daher eignen sie sich auch super um das Pferd bei Verletzungen auszulasten, vor oder nach einem besonders anstrengenden Tag eine positive Zeit mit dem Pferd zu verbringen oder das Training mit etwas Positivem zu beenden.
Wer anfängt mit seinem Pferd an Zirkuslektionen zu arbeiten wird schnell feststellen, dass man hierbei nichts erzwingen kann. Es wird mit positiver Verstärkung in Form von Lob, Streicheln, Leckerlis oder ähnlichem gearbeitet und versucht, die Aufgabe immer nur so weit zu steigern, dass das Pferd stets Erfolge verbuchen kann. Dadurch erhält man in kurzer Zeit hochmotivierte Pferde, denn selten wird in so kurzer Zeit und für „so wenig“ so viel belohnt und gelobt. Etwas, dass gerne auf die tägliche Zusammenarbeit abfärben darf.
Die rein positive Arbeit an den Zirkuslektionen wirkt sich auf die gesamte Zusammenarbeit mit dem Pferd aus. Die Partnerschaft und das Vertrauen ineinander werden verbessert und gestärkt. Besondern die Lektionen in Richtung Boden, wie „Kompliment“ und „Liegen“ erfordern ein hohes Maß an Vertrauen vom Pferd in seinen Menschen. Es begibt sich hierbei in eine sehr ungünstige Position als Fluchttier. Das Pferd  lernt darauf zu vertrauen, dass es die von uns gestellten Aufgaben meistern kann, sofern wir die Einzelschritte immer so wählen, dass kein allzu großer Misserfolg für das Pferd eintritt.

Liegen 1Dazu kommen die körperlichen Auswirkungen. Die Pferde bekommen ein besseres Körpergefühl, da sie zum Beispiel lernen auf kleine Signale hin gezielt ein Bein zu bewegen oder ihr Gleichgewicht zu verlagern. Die Übung „Bergziege“ erfordert ein hohes Maß an Gleichgewicht und Beweglichkeit, systematisch beigebracht lernt das Pferd seine Hinterhand zu nutzen, den Rücken aufzuwölben und durch geänderte Lastaufnahme das Gleichgewicht wieder zu finden.
Lektionen wie „Verbeugen“ oder „Spanischer Schritt“ machen das Pferd beweglicher und gelenkiger. Die Muskeln werden gestreckt und gedehnt und die Gelenke mobilisiert. Ein gut ausgeführter Spanischer Schritt beispielsweise entspricht einem Schulterkreisen und trägt damit zur Schulterfreiheit bei.

Spanischer Schritt

Das „Sitzen“ fordert dagegen vor allem die Bauchmuskeln und ist daher für ungeübte Pferde sehr anstrengend. Zirkuslektionen wirken sich demnach auch positiv auf andere Bereiche des Trainings aus.

Sitzen

Zuletzt sind noch die psychologischen Effekte für das Pferd zu nennen. Ein eher schüchternes Pferd bekommt durch eine positive Zusammenarbeit mit dem Menschen Raum zur Verfügung gestellt, um aufzutauen, zu vertrauen und sich zu präsentieren. Besonders Lektionen wie „Spanischer Schritt“, „Steigen“ und Podestarbeit fördern das Selbstbewusstsein des Pferdes. Ein sowieso schon recht dominantes Pferd lernt in der Arbeit an Zirkuslektionen daher zuerst den Weg in die Tiefe, in Form von „Verbeugen“, „Kompliment“ und „Liegen“. Hierbei kann die Zusammenarbeit und das Vertrauen weiter gestärkt und die Rangordnung auf einem positiven Weg gefestigt werden.  

Steigen 2

Die Pferde lernen zuzuhören. Es sind nur kleine, feine Signale und es wird anfangs auch nur eine kleine Reaktion erwartet. Viele bekommen die Signale gar nicht mit, sie sind abgestumpft im Laufe ihres Lebens. Sie lernen nun wieder konzentrierter und aufmerksamer zu sein. Oder das andere Extrem: Pferde die jede Berührung unangenehm empfinden und nicht stillstehen können. Sie lernen Ruhe und das richtige Maß an Reaktion.
Zirkuslektionen sind also kein reiner Selbstzweck. Die richtigen, auf den Charakter, die Ausbildung und eventuelle Probleme des Pferdes angepassten Lektionen fördern es individuell körperlich und psychisch und stärken dabei noch die Zusammenarbeit und das Vertrauen zum Menschen. Es lohnt sich also für jeden einen Blick über den Tellerrand zu werfen und zu überlegen, ob man Zirkuslektionen vielleicht zukünftig in das Training einbauen möchte.
Sehr lesenswert zu diesem Thema ist das Buch „Pferde stärken mit Zirkuslektionen“. Für den Einstieg ist es sehr empfehlenswert einen erfahrenen Trainer an seiner Seite zu haben. Mit ihm zusammen können die individuell auf das Pferd und die weiteren Anforderungen an das Pferd angepassten Lektionen ausgesucht und eine geeignete Reihenfolge erarbeitet werden. So positiv sich Zirkuslektionen auch für die allermeisten Pferde auswirken, man darf sie nicht verharmlosen. Ein übermotiviertes Pferd, das unkontrollierten Spanischen Schritt zeigt oder steigt ist sehr gefährlich. Genauso unerwünscht ist ein Pferd, das beim Schmied ins Kompliment geht oder sich beim Longieren hinlegt. Andauerndes Flehmen oder Kopf schütteln stellen zwar kein so großes Risiko dar, sind aber sicherlich auch nicht förderlich für die Zusammenarbeit. Daher ist es sehr wichtig, die Lektionen ernst zu nehmen und mit größter Sorgfalt zu erarbeiten. Nur so stellen sie eine echte Bereicherung für Pferd und Mensch dar.

Liegen 2

Wir danken Lina von "Nordfalben" für den schönen Beitrag über Zirkuslektionen!